Ich geb zu, es geht mir ziemlich auf die Eierstöcke (wenn ich einen Sack hätte, ginge es mir auch auf diesen). Als Veganerin wird man konstant als Extremistin, als Fanatikerin, oder als radikal be- (ich bin jetzt mal möglichst neutral und gutmütig) -zeichnet. Und ich kann es ehrlich nicht mehr hören.
Ich bin sicherlich nicht die einzige, die bei Worten wie „Extremisten“ und „Fanatiker“ ganz bestimmte Bilder im Kopf hat. Keine besonders schmeichelhaften, muss ich dazu sagen. Ich gehe jetzt mal davon aus, dass dies deshalb auch meistens nicht als Kompliment aufzufassen ist.
Nun ja, da habe ich so diese Bilder im Kopf… und da sitze ich… koche ein köstliches Essen, mache ein Foto davon und poste es auf Instagram. Klar, ab und zu versuche ich auch, ein paar tiefgründige Fragen zu stellen, stehe in einer Diskussion für meine Meinung ein (aber stets bemüht, dabei respektvoll und ruhig zu bleiben) und teile ein paar interessante Artikel und Ideen. Ich weiss schon, dass das nicht jedem in den Kram passt. Das versteh ich auch. Man muss mir aber auch nicht folgen. Und sich mit mir unterhalten auch nicht. Ich spreche nämlich eigentlich nur mit Menschen über Veganismus, die auf mich zukommen und auch gerne mit mir sprechen wollen. Oder gebe vielleicht hie und da einen Gedankenanstoss, wenn jemand ein bestimmtes Thema anspricht.
Aber es erinnert mich sehr an so Situationen, wenn man genüsslich sein veganes Menü isst und schweigt und dann in aggressivem Ton vorgeworfen bekommt, dass man doch „einem nur den Appetit verderben und ein schlechtes Gewissen machen will!“. Achja? Wirklich? Indem ich mein Essen esse? Spannend. Hatte ich nicht vor. Aber ehrlich gesagt: „Wenn du deswegen ein schlechtes Gewissen bekommst und dir der Appetit auf dein Menü vergeht, dann finde ich das völlig okay“.
Ich weiss ja nicht, welche Bilder ihr bei Extremisten und Fanatikern im Kopf habt, aber die assoziierten Bilder in meinem Kopf haben so garnichts mit dem zu tun, was ich tue. Aber nehmen wir mal an, ich bin da befangen und zäumen das Pferd von hinten auf.
Gerne wird die Bezeichnung als Extremist ja damit untermauert, dass es nunmal kein Richtig oder Falsch gibt und man niemanden verurteilen darf. Dass jeder eben seinen ganz eigenen Weg finden muss und dass man das zu akzeptieren hat. Leben und leben lassen eben.
Wow, wow, wow. Ganz schön viel auf einmal! Eins nach dem Anderen:
Als Grundlage: Was wollen Veganer eigentlich?
Naja, eigentlich wollen sie einfach nur, dass in ihrem Namen keine Tiere getötet und gequält werden. Sie wollen also keine tierische Produkte konsumieren. Simple as that. Aber ja, die meisten fänden es schon auch ganz lässig, wenn das ein paar andere auch noch tun würden. Dafür gibt es ökonomische, tierethische und gesundheitliche Gründe (Gesundheitlich für jeden einzelnen, aber auch für die Allgemeinheit). Ich weiss, eine krasse Vorstellung. Die würden sich tatsächlich darüber freuen, wenn auch andere diesen Weg einschlagen. Um das etwas besser verständlich zu machen, können wir ein anderes Beispiel heranziehen. Das ist nämlich ein bisschen, wie bei Menschen, die sich für andere (z.B. soziale) Themen einsetzen. Nehmen wir zum Beispiel Menschen, die sich gegen Rassismus stark machen. Die wollen halt auch nicht nur selbst nicht rassistisch sein, sondern im Idealfall auch andere davon abhalten.
Gibt es Richtig oder Falsch?
Ja, das Leben ist nicht nur schwarz oder weiss. Es lebt von tausenden Facetten und Farben. Von schönen und weniger schönen. Aber es ist auf alle Fälle komplex. Das trifft nicht nur auf das Leben, sondern auch auf jeden einzelnen Menschen zu. Da dürften wir uns wohl alle einig sein. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, jeder hat seine Geschichte. Und es gibt tausend Gründe etwas zu tun, oder eben nicht zu tun.
Nun geht es aber darum, ob etwas klar richtig oder falsch sein kann. Ich kann das nicht bestimmen. Aber was ein ganz spezifisches Thema angeht, habe ich dazu eine ganz klare Meinung. Gewalt und Missbrauch gegenüber anderen Lebewesen, die nicht dem Überleben dient (Selbsterhaltung oder Selbstverteidigung) ist für mich unter keinen Umständen richtig. Und ja, da gibt es für mich tatsächlich keine Grauzone. Für mich persönlich ist Gewalt und Missbrauch ausnahmslos immer falsch. Das heisst nicht, dass es nicht diverse Gründe gibt, die Menschen dazu bewegen, solche Dinge zu tun. Und ja, Fehler passieren. Das ist mir mehr als nur bewusst. Und ich bin ganz sicher auch nicht perfekt. Aber richtig ist es meines Erachtens trotzdem nie. Und zu Lebewesen gehören für mich nunmal auch Tiere. Und ja, dazu gehören nicht nur Haustiere. Das heisst konkret: Ich finde es unter keinen Umständen richtig, jemanden auf offener Strasse zu ermorden, jemanden zu vergewaltigen, häusliche Gewalt zu praktizieren, Kinder zu missbrauchen, Haustiere zu quälen, oder „Nutz“tiere zu töten und vieles mehr. Und ja, da mag ich wirklich auch nicht drüber diskutieren. Wer findet, dass es ab und zu eben auch richtig ist, mit einem kräftigen Schlag nachzuhelfen, muss mit mir nicht weiter diskutieren. (Achtung: wir sprechen immer noch von richtig und falsch, nicht von Dingen/Fehlern, die unter gewissen Umständen passieren können). Und dazu stehe ich auch.
Niemanden verurteilen und jeden seinen eigenen Weg gehen lassen
Ja… das höre ich oft. Und ja, ich kann niemandem vorschreiben, was er tun oder lassen soll. Ich will auch nicht. Ich will nicht, dass jemand mir zuliebe etwas tut. Wenn, dann aus eigener Überzeugung. Das einzige was ich eventuell tun kann, ist zum nachdenken anzuregen und in gewissen Bereichen mit gutem Beispiel voran gehen. That’s it. Und das ist auch okay.
Aber niemanden zu verurteilen ist ganz ehrlich gesagt ziemlich schwierig. Wieso das so ist, ist sehr einfach erklärt. Wenn du dir die letzten beiden Punkte nochmals vor Augen führst, dann ist dir bewusst, dass es mir und vielen anderen Veganern in unserer Überzeugung darum geht, anderen Lebewesen keine Gewalt anzutun und sie nicht zu töten. Wenn wir von anderen Problembereichen ausgehen, in denen es um Gewalt geht, dann fordert einem interessanterweise niemand dazu auf, Verständnis zu haben, alle Vorlieben zu akzeptieren und respektieren und jeden seinen Weg gehen zu lassen. Stellen wir uns mal vor, jemand würde einem sagen „schau, du kannst schon gegen Kindesmissbrauch sein. Du musst ja auch keine Kinder missbrauchen. Es zwingt dich ja niemand dazu. Also musst du auch akzeptieren, wenn andere halt Kinder missbrauchen wollen. Das ist halt ihre Entscheidung.“
Ich weiss… ganz schön unangenehm zu lesen. Aber wie absurd diese Forderung ist, wird einem oft nur bewusst, wenn man das Beispiel auf ein anderes Gebiet der Gewalt überträgt. Zu abstrakt? Menschen und Tiere kann man nicht vergleichen? Bitteschön: „Du kannst schon gegen Tierquälerei sein. Du musst ja auch keinen Welpen in einen Plasticksack stecken, K.O. prügeln und am Strassenrand raus werfen. Aber wenn andere das eben gern tun, dann ist das halt so. Und das ist nicht dein Bier. Das musst man einfach auch akzeptieren können.“
Besser?
Leben und leben lassen
Ja… ein wirklich skurriles Beispiel… Denn schlussendlich fällt dieses Argument immer im Kontext von „Ich finde es voll okay, wenn du vegan leben möchtest. Aber du musst andere halt auch einfach ihr Leben leben lassen. Wir Fleischesser lassen andere ja schliesslich auch leben“.
…. ähm…. ja…. ich glaube du hast da das eine oder andere Lebewesen vergessen, Kumpel. Und genau DAS ist ja eigentlich der springende Punkt. Aber ja, solange du alle Lebewesen leben lässt, lass ich dich gerne auch einfach so leben, wie du willst und sage kein Wort mehr.
Ja, ich weiss. All das ist keine leichte Kost. Und schlussendlich sind genau solche schonungslosen Beispiele wohl der Grund, wieso man als Extremisten und Fanatiker beschimpft wird. Man hört es einfach nicht gern. Wenn jemand sich angegriffen fühlt, wenn man ihm sagt, dass man mit dem Kauf von Fleisch, Milchprodukten und Eiern dafür bezahlt, dass Tiere getötet und gequält werden, dann sagt das aber am Ende des Tages mehr über die Person aus, die sich angegriffen fühlt, als die Person, die das anspricht. Schlussendlich lohnt es sich vielleicht, sich zu fragen, ob man wirklich den Veganer nicht ausstehen kann, oder nur die Tatsache, dass er einem (meist schon allein durch seine Existenz) an all die schrecklichen Dinge erinnert, die man mit seinen Taten unterstützt.
Aber ganz ehrlich: Es gibt keine blumigen, rosaroten Worte, um zu umschreiben was wir diesen Wesen antun. Und ja, dabei spreche ich auch vom netten Bauern nebenan (von dem aber so oder so nur ein Bruchteil der konsumierten Produkte stammt). Man kann das einfach nicht romantisieren und schön reden. Beziehungsweise wähle ich sowieso schon sehr schonende Worte. Das liesse sich alles noch drastisch steigern. Und trotzdem wäre noch nichts davon übertrieben.
Denn ist es wirklich so extrem, keine Tiere zu töten oder quälen (lassen)?! Ernsthaft? Ist das die Definition von Extremismus in unserer Gesellschaft? Ich bin ja sehr versucht ein paar grafische Beispiele und Bilder und ausformulierte Beispiele aus der Nutztierhaltung hier aufzulisten. Aber ich hab mich nach langem hin und her dagegen entschieden. Ich glaube fast jeder weiss, wie viel Grausamkeit dort passiert. Auch wenn man ungern hinsieht. Wie kann es sein, dass nicht DAS als Extrem angesehen wird? Wie kann es sein, dass wir so geprägt werden, die Augen zu verschliessen, dass wir all das als völlig normal ansehen? Nur weil Raclette, Käsefondue und Schnitzel so unendlich wichtig für uns sind? Wir sind eine ganz schön traurige Gesellschaft. Auf vielen Bereichen. Aber auf diesem ganz besonders.
Ich bin bei weitem kein perfekter Gutmensch. Man kann nunmal nicht alles im Leben richtig machen. Aber das ist noch lange keine Entschuldigung dafür, sich um gar nichts zu kümmern und einen auf YOLO zu machen. Auch ich höre es nicht besonders gerne, wenn mir jemand zum Beispiel sagt, dass ich durch meine Putzmittel, durch mein vergessen der Einkaufstüten, durch mein Einkaufen beim Grossverteiler oder durch Kleidung, Reisen etc. unserer Umwelt Schaden zufüge. Dennoch ist es wahr und man hat jedes Recht der Welt, mir dies auch zu sagen. Indem ich meinen Frust darüber auf den Überbringer der Botschaft richte und diesen abwerte, hat aber niemand etwas gewonnen. Ich auch nicht. Aber das weiss ich auch in dem Moment, in dem ich mich vielleicht doch einmal aufrege. Und ich bin mir sicher, wenn die Menschen, die am lautesten gegen Veganer poltern, manchmal ganz leise sind…. dann können auch sie eine kleine Stimme in sich wahrnehmen, die zögerlich flüstert „aber was, wenn es doch falsch ist?“ Und es gibt ja das Gerücht, dass gerade die, die am lautesten Poltern, gegen besonders viele innere Stimmen anschreien müssen. 😉